Donnerstag, 10. September 2015

Erste Begegnung

Erinnert ihr euch noch an den ersten Ausschnitt meiner Geschichte? Hier kommt ein weiterer exklusiver Einblick. Es handelt sich um eine schicksalhafte Begegnung.


Ich schlenderte durch die Fußgängerzonen der Innenstadt, auf der Suche nach einem netten Café.
Mitten in all dem Trubel entdeckte ich ein vielleicht dreijähriges Mädchen, das ein niedliches rosa Blümchenkleid trug. Seine großen Augen blickten hilfesuchend umher und es sah aus, als könnte es jeden Moment zu weinen anfangen. Doch es stand einfach nur da und ließ die Menschen an sich vorbei strömen. Ich bahnte mir einen Weg hindurch.
„Hey, Kleine!“
Sie sah mich hoffnungsvoll an.
„Wo sind denn deine Eltern?“, fragte ich sie.
„Papa ist weg“, stieß sie hervor und schluchzte laut auf. Vorsichtig nahm ich sie in den Arm, strich ihr über die blonden Haare und zog ein Taschentuch aus meiner Jacke. Dann schob ich sie ein Stück von mir und versuchte, ihr die Tränen aus dem Gesicht zu wischen und die Nase zu putzen.
„Komm, ich helfe dir“, versuchte ich sie zu trösten. „Wir gehen ihn gemeinsam suchen.“ Sie nickte.
Ich konnte Kinder noch nie weinen sehen. Wenigstens das hatte sich nicht geändert.
Ich hob sie auf meine Schultern, damit sie die Menge überblicken konnte. „Ich bin Feli und wie heißt du?“
„Anna“, antwortete sie und ihre Stimme klang schon fast wieder fröhlich. Wahrscheinlich genoss sie es, so hoch oben zu sein.
„Wo hast du denn deinen Papa zuletzt gesehen?“
Ich hätte meinen ziellosen Lauf gerne beendet, wusste jedoch nicht, wo und nach wem ich suchen sollte.
„Wir waren da vorn.“ Sie deutete auf einen kleinen Floristen am Ende der Straße. „Wir wollten Blumen für Mama kaufen.“
Ich steuerte auf den Laden zu, in der Hoffnung, der vermisste Vater würde dort nach seinem entlaufenen Kind suchen.
Plötzlich schrie Anna auf: „Papa!“
Aufgeregt hüpfte sie auf meinen Schultern herum und streckte die Arme nach einem braunhaarigen Mann um die dreißig aus.
„Anna, da bist du ja!“
Ich hob sie herunter und sie warf sich ihrem Vater in die Arme.
„Wo warst du denn nur?“
„Die nette Frau da hat mir geholfen“, erklärte sie stolz.
„Danke.“
Ich konnte die Dankbarkeit in seinen Worten förmlich spüren.
„Keine Ursache“, entgegnete ich leichthin. Ich wollte fort von diesem Mann, der mich mit seinen braunen Augen musterte. Genau so hatte ER auch geguckt, bevor ein anzügliches Grinsen sein Gesicht zu der Fratze verzerrt hatte, die sich mir für immer eingebrannt hat.
„Ich habe noch einen Termin. Auf Wiedersehen.“
Ich musste hier weg, bevor mich die Erinnerung, die ich so mühsam zu verdrängen versucht hatte, wieder überwältigen würde.
Der Mann sah ein wenig enttäuscht aus, bevor er sich wieder im Griff hatte und sich nochmals höflich bei mir bedankte.
„Tschüss, Feli“, rief mir Anna noch hinterher, aber ich hatte das Geschäft schon verlassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen