Irgendwas läuft bei mir gerade falsch. ich lese zwar sehr viel, komme aber nicht dazu, Rezensionen zu schreiben. Die stapeln sich hier und ich werde wohl nicht mehr alle in diesem Monat fertig kriegen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben ist Eleanor verliebt. Sie, die immer eine Einzelgängerin war, versucht nun alles, um für eine Begegnung mit ihrem Auserwählten vorbereitet zu sein.
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Raymond beobachtet sie, wie ein alter Mann auf der Straße umkippt. Ihre Rettungsaktion verbindet die beiden und Eleanor muss sich eingestehen, dass die Gesellschaft anderer Menschen auch schöne Seiten haben kann. Langsam entdeckt sie eine ihr bisher unbekannte Welt und beginnt nun auch, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die Protagonistin ist ziemlich ungewöhnlich. Nach traumatischen Erlebnissen in ihrer Kindheit, über die wir allerdings lange nichts genaues erfahren, hat sich sie in ihrem Leben eingerichtet. Sie hat eine eigene Routine und ihre Arbeit hält sie aufrecht. Sie ist nicht glücklich, aber auch nicht verzweifelt. Sie scheut den Kontakt zu anderen Menschen und ist fast immer allein. Einmal die Woche telefoniert sie mit ihrer Mutter, doch das Verhältnis ist nicht besonders gut. Als Leser taucht man in eine Welt ein, die zumindest mir völlig unbekannt war. Weil Eleanor sich so aus der Gesellschaft herausnimmt, hat sie auch wenig Ahnung von einfachsten Gepflogenheiten und den Grundlagen der Freundschaft. Ihre Überlegungen konnten mich manchmal zum Schmunzeln bringen, aber vor allem haben sie mir gezeigt, wie viel man für selbstverständlich hält, wenn man damit aufwächst. Die Autorin hat einen genauen Blick für die Details zwischenmenschlicher Interaktion, der auch ein neues Licht auf unseren Alltag werfen kann.
Eleanor liebt Sprache und das wird auch im Schreibstil immer wieder deutlich. Die Geschichte ließ sich gut lesen, aber sie war auch emotional und tiefgründig. Gail Honeyman findet immer die richtigen Worte, um Situationen, Gefühle und Menschen perfekt zu beschreiben.
Dieses Buch räumt mit Vorurteilen auf und zeigt, dass mehr in einem Menschen steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Raymond, der eine wichtige Rolle spielt, ist gewissermaßen der typische Nerd. Ein schlecht gekleideter Computerfreak, der keine Freundin hat und viel Zeit allein mit Videospielen verbringt. Doch er ist auch ein herzensguter Mensch, der ohne zu zögern für andere da ist. Er ist der erste, der einen Blick hinter Eleanors verschlossene Fassade wagt.
Dann ist da noch Laura, die Tochter des alten Mannes, der auf der Straße zusammengebrochen ist. Sie wirkt wie die toughe Karrierefrau, der Aussehen enorm wichtig ist und die keine Zeit für ernsthafte Beziehungen hat. Doch auch sie stellt sich als sympathisch und hilfsbereit heraus.
Dagegen sind die Kolleginnen im Büro eigentlich ganz normale Menschen. Mit ihnen kann ich mich identifizieren, sie führen ein durchschnittliches Leben. Doch gerade diese normalen Menschen ohne besondere Probleme sind diejenigen, die ständig über Eleanor (und andere) lästern. Dabei würde man ohne sie zu kennen davon ausgehen, dass sie freundlich und aufgeschlossen sind, schließlich geht es ihnen gut. Aber ich will sie nicht verteufeln, denn schließlich meinen sie es nicht böse.
Eleanors Mutter spielt eigentlich nur eine Nebenrolle, aber ihr Einfluss scheint größer zu sein als ihr Redeanteil. Deshalb habe ich mich die ganze Zeit gefragt, was in Eleanors Vergangenheit passiert ist. Warum nennt sie ihre Mutter "Mummy", als wäre sie noch immer ein kleines Kind? Und warum besucht sie sie nie? Diese Fragen haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich das Buch so schnell durch hatte. Am Ende wird alles auf sehr überraschende Weise beantwortet.
Ich habe ziemlich bald gedacht, ich wüsste, wohin die Geschichte laufen würde. Doch das, was ich die ganze Zeit erwartet habe, ist nicht passiert. Dann wurde mir klar, dass ich in einem Denkmuster gefangen bin, aus dem ich so leicht nicht mehr rauskomme. Es ging aber eigentlich um etwas ganz anderes, das Eleanor lernen sollte. Es geht darum, herauszufinden, wer man selbst ist und was man mit seinem Leben anfangen möchte. Manchmal muss man dafür die Vergangenheit hinter sich lassen, auch wenn es schwer fällt.
Von Bastei Lübbe habe ich nicht nur das Rezensionsexemplar bekommen, sondern auch eine Ausgabe, die ich an meine "beste Freundin" verschenken durfte. Wir haben uns schon während des Lesens ausgetauscht, deshalb hier nun auch ihre Meinung zum Buch:
"Ich finde es toll, weil sie so ganz anders ist [...] Außerdem, weil sie eine so ungewöhnliche Sichtweise auf die Welt hat. [...] Ich finde ihre Gefühlsbeschreibungen immer so schön. [...] Cooles Ende auf jeden Fall."
Ein wunderbarer Roman, der den Blick auf die kleinen Glücksmomente des Alltags richtet und gleichzeitig mit dem Geheimnis um Eleanors Vergangenheit für Spannung sorgt.
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