Freitag, 19. Oktober 2018

{Rezension} Sehnsucht groß wie meine Einsamkeit

Was wisst ihr über die chinesische Kultur? Ich muss zugeben, bei mir ist es nicht besonders viel. Deshalb fand ich dieses Buch unheimlich spannend, weil man direkt in die Lebensgeschichten verschiedener Generationen einsteigt.








Die chinesische Autorin XINRAN stößt auf die Geschichte einer Frau, die mit über neunzig Jahren noch Jungfrau ist - und das, obwohl sie verheiratet war. Die Suche nach Antworten führt sie hinein in eine Familie, deren Frauen die unterschiedlichsten Erfahrungen mit der Liebe gemacht haben. Über vier Generationen hinweg porträtiert sie die chinesische Kultur und ihr Verständnis von Beziehung. Obwohl jedes Leben einzigartig ist, stehen die Erfahrungen dieser Frauen auch für die Veränderungen in China im Lauf des letzten Jahrhunderts.






Die chinesische Autorin XINRAN ist bekannt dafür, in ihren Sprachen die chinesische Kultur und Geschichte verständlich zu machen. dafür hat sie bereits in der Vergangenheit zahlreiche Interviews geführt. Doch diesmal ist sie selbst überrascht, als sie von einer Frau hört, die in mehr als sechzig Jahren Ehe nie Sex gehabt haben soll. Sie macht sich auf den Weg, mit ihr zu sprechen, um die ganze Geschichte zu erfahren. Dabei begegnet sie Red, die mit Bedauern auf ihr Leben zurückblickt, aber auch die guten Seiten erkennen kann und eine tiefe Verbundenheit zu ihrer Familie ausdrückt. Um sich noch eingehender mit der Liebe in China zu beschäftigen, spricht die Autorin nun auch mit den jüngeren Generationen der Familie. Reds Eltern haben sich geliebt, doch wie sieht es bei ihren Kindern aus? Wie wurden die Beziehungen durch die politischen Verhältnisse beeinflusst? Über etwa hundert Jahre hinweg hat sich das Verständnis von Liebe und Partnerschaft in China grundlegend gewandelt.
Die Autorin erzählt von ihrer Recherche und den Begegnungen mit den unterschiedlichen Frauen. Sie packt deren Biografie nicht in einen Roman, sondern schildert die Interviews, die sie geführt hat. Dadurch kommen sie selbst zu Wort und können ihre Erfahrungen in ihrer eigenen Sprache ausdrücken. Man merkt schon dadurch, dass sich um völlig verschiedene Menschen handelt, die die Welt jeweils auf ihre eigene Art sehen und interpretieren. Ihre Geschichten werden so auch authentischer und echter.
Zwischen die Erzählungen sind Eindrücke und Erinnerungen der Autorin gewebt, die manchmal auch Hintergründe zur Zeitgeschichte liefert. Mir hat das sehr geholfen, um zu verstehen, was das Leben der Frauen beeinflusst hat. Die Geschichte Chinas im letzten Jahrhundert war von vielen Unruhen geprägt, die mir so nicht bekannt waren. Nicht alles habe ich in dieser Fülle mitnehmen können, aber ich habe eine Menge dazugelernt.
Das ganze Buch ist von einer ruhigen Melancholie durchzogen. In den geschilderten Erfahrungen spiegeln sich Freude und Leid, aber auch eine große Resignation angesichts schlimmer Schicksale und erlittenem Unrecht. Nun sollte man nciht denken, dass alles in Chinas Vergangenheit schlecht war. Es wird auch von schönen Momenten berichtet, aber zur Liebe gehört offensichtlich immer auch Schmerz.
XINRAN schreibt sehr emotional, auch wenn sie die Gefühle oftmals nicht direkt zur Sprache bringt, sondern eher zwischen den Zeilen durchschimmern lässt. Ich konnte mich gut in die verschiedenen Personen einfühlen und so mit ihnen noch einmal die wichtigsten Momente ihrer Geschichte erleben, aber auch die in jeder Generation deutliche Verbindung zur Familie spüren.
Für mich war es erschütternd und faszinierend zugleich, wie sehr die Familien das Leben der jungen Chinesen prägen und bestimmen. Deshalb ist es wohl nur verständlich, dass XINRAN für dieses Buch die Frauen einer Familie über die Generationen hinweg begleitet hat. Erstaunlich war, wie unterschiedlich sie alle ihre Kindheit und ihr Liebesleben beschreiben, obwohl sie teilweise nur wenige Jahre auseinander sind. Das zeigt, wie schnell sich die chinesische Kultur verändert hat und wie groß die Auswirkungen der politischen Umbrüche auf den Einzelnen tatsächlich sind.








Dieses Buch muss ich auf jeden Fall bald nochmal lesen, um die Fülle an Informationen und Eindrücken vollständig aufnehmen zu können. Es lohnt sich, denn hier sind über Generationen hinweg Lebensgeschichten gesammelt, die nicht nur einen Einblick in die chinesische Kultur bieten, sondern auch vom Leid mit der Liebe erzählen.

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