Dienstag, 21. Mai 2019

{Rezension} Die stumme Patientin









Vor sechs Jahren hat Alicia Berenson ihren Ehemann ermordet. Seitdem schweigt sie beharrlich, auch wenn ihre Aussage vieles erklären könnte. Deshalb sitzt sie in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Theo Faber war von Anfang an von ihrem Fall fasziniert. Nun endlich bietet sich ihm die Gelegenheit, mit ihr zu arbeiten und vielleicht etwas mehr über die Hintergründe zu erfahren. Er setzt alles daran, sie zum Reden zu bringen, doch was verbirgt er selbst?






Das Buch hat wenig Actionanteil, aber dafür eine hohe psychologische Spannung. Ich war gefesselt von der ungewöhnlichen Geschichte der Alicia Berenson. Was treibt eine Frau dazu, ihren Mann derart kaltblütig zu ermorden? Auf der Suche nach den Spuren, die ihre Vergangenheit hinterlassen hat, dringt Theo Faber immer tiefer in ihre Familiengeschichte vor. Dort liegt einiges im Argen, doch reicht das schon aus?
Währenddessen erfährt man, dass auch in Theos Leben nicht alles rund läuft. Er war selbst nach einer traumatischen Kindheit lange in therapeutischer Behandlung. Jetzt findet er heraus, dass seine Frau ihn betrügt. Doch er ist nicht bereit, sie aufzugeben und tut alles, um die Beziehung zu retten. Wie weit er dabei tatsächlich zu gehen bereit ist, wird dem Leser erst spät bewusst.
Mir hat dieses Buch unheimlich viel Spaß gemacht. Es war faszinierend, in die Welt psychischer Dispositionen einzutauchen. Zugleich gilt es, einen ungelösten Mordfall aufzudröseln. Am Ende bleibt die Schuldfrage offen, denn jeder der Beteiligten trägt seine eigene Last und hat nachvollziehbare Gründe für sein Handeln. Wem will man also einen Vorwurf machen?
Alicia ist vollkommen rätselhaft. Nur in ihren Tagebucheinträgen, die zwischen den einzelnen Teilen des Buches stehen, kommt sie dem Leser ein bisschen näher. In der Gegenwart jedoch schweigt sie und auch ihr Gesicht und ihr Verhalten lassen keine Rückschlüsse auf ihre Gedanken zu. Deshalb fand ich es sehr schwierig, mich in sie hineinzuversetzen.
Dagegen war mir Theo schon näher. Auch seine Motive bleiben ungeklärt, aber da aus seiner Sicht erzählt wird, erfahren wir etwas von seinen Gedanken und Gefühlen. Ich fand ihn anfangs sympathisch und ausgesprochen hilfsbereit, doch das hat sich im Laufe der Geschichte geändert. Es wird immer deutlicher, dass er von seiner Vergangenheit bestimmt wird und nicht bereit ist, etwas an sich und seinem "perfekten" Leben zu verändern.
Die vielen Verbindungen zwischen den Figuren wurden erst nach und nach sichtbar und ich war nicht in der Lage, auch nur einen Teil davon vorherzusehen. Der Autor spielt sehr gekonnt mit den Erwartungen der Leser, sodass man immer wieder denkt, jetzt hätte man etwas mehr verstanden, um dann doch wieder überrascht zu werden.
An den passenden Stellen werden auch psychologische Modelle erklärt, die dem Leser helfen, das Vorgehen der Ärzte zu verstehen und auch ein tieferes Verständnis für die Entwicklung der Figuren fördern. Manchmal fand ich diese Exkurse ein bisschen lang, aber letztlich haben sie geholfen, etwas von der scheinbaren Sinnlosigkeit der Ereignisse zu begreifen. Man merkt auch, dass der Autor genau weiß, wovon er schreibt.








Ein spannendes Buch über Wahrheit und die Macht der eigenen Vergangenheit. Unbedingte Leseempfehlung für alle Fans von Psychothrillern und psychologischen Hintergründen.

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